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Pferde verstehen: Arttypische Verhaltensweisen des Pferdes

By 11. August 2012Juni 4th, 2024Führtraining, Orenda-Ranch, Pferde

Pferde verstehen

Unser Ziel soll es sein, die Pferde zu verstehen, da heißt dessen Wahrnehmung und Denkweisen richtig interpretieren zu können, den Standpunkt des anderen zu verstehen und die Dinge mit dessen Augen zu betrachten. (Henry Ford)
Die meisten Missverständnisse zwischen Reitern und Pferden treten auf, weil der Mensch seinem Vierbeiner menschliches Denken unterstellt und ihn nicht versteht.

Um Pferde besser zu verstehen, muss man sich erst das arttypische Verhalten ansehen.

1. Das Pferd ist ein Steppentier
Seit mindestens 25 Millionen Jahren sind die Pferde grasfressende Steppenbewohner.
Da die Nahrung energie- und rohfaserreich ist, sind lange Fresszeiten vonnöten- bis zu 18 Stunden. Das Fressen -sprich Grasen- ist eng mit dem Bewegungsverhalten gekoppelt – Wildpferde bewegen sich etwa zwei Drittel des Tages im langsamen Schritt. Aus diesem Grund haben auch unsere heutigen Pferde einen täglichen vielstündigen Fress- und Bewegungsbedarf.

2. Das Pferd ist ein Fluchttier
Die beste Verteidigung des Pferdes vor Feinden war über Millionen von Jahren die Flucht. Für eine schnelle Flucht ausgerüstet ist das Pferd mit seinen langen Beinen, seiner Körperfunktion (Herz-Kreislauf) und seinen Sinnesorganen.
Die Fluchtreaktion erfolgt nach einem angeborenen, auslösenden Mechanismus und ist genetisch tief verankert. Durch Gewöhnung und positive Verstärkung kann man mit dem Pferd trainieren, vor verschiedenen Situationen nicht mehr Angst zu haben und nicht mehr zu flüchten.

Die Flucht erfolgte früher teils über große Strecken ohne Stopp. Im Laufe der Evolution hat sich die Fluchtdistanz von mehreren Kilometern auf 10-20 m verringert.

Wenn ein Pferd erschrickt, ist die Flucht immer noch die erste Reaktion. Als Pferdehalter sollte man sich stets vor Augen halten, dass, wenn das Pferd flüchtet, es Angst hat. Ziel wäre dann, die Situationen, vor denen das Pferd Angst hat, durch Training und positive Verstärkung zu verbessern.

3. Das Pferd ist ein Herdentier
Pferde leben ebenfalls seit mindestens 25 Millionen Jahren im engen Sozialverband mit Artgenossen
Der Schutz der Herdengemeinschaft bietet jedem Pferd Sicherheit und Geborgenheit und fördert die Überlebenschancen. Viele Augen-und Ohrenpaare sehen und hören mehr als ein einzelnes Tier. Pferde, die alleine leben, müssen ständig auf der „Hut“ sein, sind oft gestresst und leiden aus daraus resultierenden Verhaltensstörungen.
Nur in der Gruppe kann ein Pferd seinen verschiedenen Bedürfnissen wie soziale Kontakte und Nähe zu anderen ausreichend nachgehen.
Das ist bei der Pferdehaltung unbedingt zu berücksichtigen – denn nur so kann man sich an einem ausgeglichenen, gesunden Partner erfreuen.

4. Soziale Organisation einer Gruppe
Natürlicherweise gibt es Familienverbände, Hengst – bzw. Junggesellengruppen.
Die Familienverbände mit max. 20 Tieren bleiben oft jahrelang bis lebenslänglich zusammen und bestehen in der Regel aus dem Leithengst und seinen Altstuten.
Die Führung hat dabei in erster Linie die Leitstute. Der Hengst ist zwar auch an der Aufgabe beteiligt, doch ist er vor allem für den Zusammenhalt der Gruppe und für Verteidigung gegen Angriffe von außen zuständig.
Wenn die Junghengste zu dominant werden, werden sie vom Vater vertrieben und schließen sich zu Junggesellengruppen zusammen. Im Alter von 5-6 Jahren gelingt es den besonders Starken, durch Kampf Stuten aus Hengstfamilien herauszulösen. Einige nehmen zur Familiengründung umherstreifende, überzählige weibliche Nachkommen in Besitz , aber viele gründen keine Familie und bleiben lebenslang in einer Junggesellengruppe.
Die Jungstuten wandern entweder freiwillig aus ihrem Familienverband ab oder sie werden von umherstreifenden Hengsten entführt.
So verändert sich die Gruppengröße nur innerhalb gewisser Grenzen.

Nur einer kann der Boss sein. Er entscheidet, ob und wann in welche Richtung geflüchtet wird. Ohne einen fähigen Chef müsste im Ernstfall jedes Mitglied eigene Entscheidungen treffen. So würde die Herde bei einer drohenden Gefahr in alle Himmelsrichtungen zerstreuen und die Sicherheit des Einzelnen ist nicht mehr gewährleistet.

5. Rangordnung
Die relativ feste Rangordnung und die unumstößlichen Regeln in der Herdengemeinschaft sorgen für einen reibungslosen Ablauf des Zusammenlebens und bieten ihm damit die besten Überlebenschancen.
Sobald eine Rangfolge einmal erstellt ist, bleibt sie weitgehend stabil.
Im natürlichen Umfeld ist oftmals der Hengst das ranghöchste Tier. Das liegt daran, dass er von Anfang an bei der Gründung des Verbandes mit dabei war, und damit das älteste und stärkste Pferd ist. Danach folgt die Leitstute- gewöhnlich ein älteres, erfahreneres, besonders kräftiges Tier. Die übrigen verwachsenen Stuten schließen sich überwiegend in linearer Reihenfolge an- es gibt aber auch kompliziertere Reihenfolgen, sog. Mehrecksbeziehungen.

Wie ergibt sich die Rangposition?
Zum einen gibt es physische Merkmale wie Alter, Geschlecht, Größe und Gewicht- wobei da das Alter die größte Rolle spielt.
Daneben spielen auch psychische Faktoren wie Kampfbereitschaft, Temperament, rasche Reaktion und Selbstvertrauen eine große Rolle.

Woran erkennt man ein Leittier?

Ranghohe Pferde besitzen gewisse Vorrechte.
Sie dürfen zuerst den besten Futterplatz auswählen, dürfen zuerst fressen und saufen, bekommen den günstigsten Schlaf-bzw. Dösplatz etc.
Das Leittier fordert uneingeschränkte Aufmerksamkeit: Es bestimmt, wann gefressen wird, sorgt dafür, dass ihm ungefragt niemand zu nahe kommt, hält (wenn es will die anderen vom saufen ab) und entscheidet selbst, wer ihm sein Fell kraulen darf.

Es ist hellwach und aufmerksam, registriert kleinste Fehler und Unachtsamkeiten sofort und korrigiert sie. Damit vertritt es seinen hohen Rang konsequent und bleibt somit glaubwürdig vertritt. Bei der Bestrafung von Regelverstößen gilt: Es wird nur so viel aggressives Verhalten gezeigt, wie es die augenblickliche Situation erfordert. Das hat ökonomische Gründe. Viele Auseinandersetzungen laufen auch nach bestimmten Ritualen ab.
In der Regel genügt ein leichtes Ohrenanlegen, sowie Verziehen der Nüstern und Maulwinkel, um den anderen in seine Schranken zu weisen.

Für Pferde ist diese „Unnachgiebigkeit“ und „Strenge“ absolut nicht unangenehm. Im Gegenteil: Sie brauchen jemanden, der in jeder Situation und zu jeder Zeit reagiert.

Wenn „Alpha“ in entspannten Situationen (wie zum Beispiel bei der Fütterung) Schwäche demonstriert, indem er das unerwünschte Verhalten eines Rangniedrigeren ignoriert, verliert er in dessen Augen seine Glaubwürdigkeit als Herdenboss. Ein inkonsequenter, unaufmerksamer Chef ist auch ein unsicherer Chef und damit eine Gefahr für die ganze Herde.

Drohgesten

Das Pferd verfügt über ein fein abgestimmtes Repertoire an Droh- und Unterlegenheitsgesten. Welche gerade eingesetzt wird, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab wie Rangordnung, Alter, Geschlecht, individuelle Kampfbereitschaft, momentane Motivation.
Drohen
Das „Drohgesicht“ des Pferdes besteht aus zurückgelegten Ohren (je weiter sie angelegt sind, desto intensiver ist die Drohung), verschmälerte Nüstern, nach hinten unten gezogene Maulwinkeln

Das Drohen hat verschiedene Gefährlichkeitsstufen, weniger gefährlich ist das defensive Drohen, gefährlicher ist das aggressive Drohen.

Unterschiede von defensivem und aggressivem Drohen(Zeitler-Feicht, Margit H. (2008) Handbuch Pferdeverhalten S. 111, Eugen Ulmer KG)
Defensives Drohen:

  • Drohmimik mit mehr oder weniger seitlich gestellten Ohren, Ohröffnung nach unten-hinten
  • Körpermuskulatur angespannt mit Fluchttendenz
  • Pferd versucht sich „kleinzumachen“, Rückenlinie fällt nach hinten ab
  • Hinterhand wird dem Aggressor zugewandt, Schlagdrohung möglich

Aggressives Drohen

  • Drohmimik mit nach hinten gerichteten Ohren (unterschiedliche Intensität)
  • Pferd versucht sich „großzumachen“, aufgewölbte Rückenlinie
  • Kopf/Hals wird dem Aggressor zugewandt, Beißdrohung möglich

Demutsgebärden

Diese sind optisch gesehen das Gegenteil von den Drohgebärden.
Das Pferd versucht sich kleinzumachen, der Kopf wird nach unten gesenkt oder vom dominanten Tier abgewandt und die Hinterhand sowie der –schweif werden eingezogen. Auffallend sind dabei die häufig bis zur Waagerechten seitlich gelegten Ohren
Wird ein Rangniederer von einem Ranghöheren bedroht, erfolgt die Anerkennung der Ranghöhe des anderen Pferdes durch Ausweichen. Dieses Ausweichen kann ein Weggehen ode Flüchten sein. Ein weiterer Weg den Ranghöheren zu akzeptieren ist das „meiden“. Das Tier hält ohne Bedrohung seine von der rangabhängigen Individualdistanz ein.

Bedeutung der arttypischen Verhaltensweisen des Pferdes in Interaktion mit den Menschen

Im Umgang mit uns Menschen folgt das Pferd ebenso seinen Instinkten wie im Kontakt mit anderen Pferden, d.h. wir werden von ihm rangmäßig eingestuft.
Dabei kann der Mensch ranghöher, ranggleich oder rangniedriger sein.
Ist der Mensch rangniedriger, erschwert dies sie Ausbildung und Erziehung und ist auch für die Sicherheit des Therapiepferdes nicht dienlich.
Ranggleichheit kann führt zu ständigen Machtkämpfen und Problemverhalten.
Im Idealfall sollte der Mensch die ranghöhere Position einnehmen.
Wie wird die ranghöhere Position erreicht?
Das Pferd misst uns an Rangfaktoren, die es kennt. Da wir über die körperlichen Merkmale keine Chance haben, müssen wir Menschen vor allem die psychischen Rangfaktoren einsetzten. Das bedeutet Ausstrahlung, Erfahrung, Selbstsicherheit.

Da Pferde ja fast ausschließlich über Körpersprache kommunizieren, sind sie Meister im Lesen der Körpersprache.
Pferde wissen schon lange bevor wir bei ihnen sind, ob sie uns als ranghoch oder rangniedrig einstufen sollen.
Deshalb ist man im Umgang mit dem Pferd nur dann ranghoch, wenn man wie das Leittier in der Herde:

  • immer aufmerksam
  • immer konsequent
  • immer klar und bestimmt

Wenn Pferde den Eindruck bekommen, dass wir Menschen nicht in der Lage sind, Ihnen Sicherheit zu geben, dann werden sie zu ihrem eigenen Schutz Entscheidungen treffen, die nicht immer in unserem Sinne sind.
Der Ausbau der Dominanz erfolgt im täglichen Umgang mit dem Pferd und bei der Bodenarbeit.

Jeder Umgang mit dem Pferd sollte dabei mit absoluter Klarheit und Konsequenz durchgeführt werden. Bei jeder Übung sollte darauf geachtet werden, dass der Abschluss positiv ist.

Pferdeverhalten in der tiergestützten Therapie

Zusätzlich zur tiefen Erkenntnis über das Verhalten und die Bedürfnisse der Pferde spielt auch ihr Verhalten in der tiergestützten Therapie eine entscheidende Rolle. Pferde reagieren unmittelbar und unverfälscht auf die nonverbalen Signale und Emotionen der Menschen, was sie zu idealen Biofeedback-Partnern macht. In unserer Reittherapie nutzen wir dieses natürliche Feedback, um therapeutische Prozesse zu unterstützen und zu verstärken. Das Pferd spiegelt die innere Verfassung des Menschen wider und hilft dabei, ein besseres Bewusstsein für die eigenen Emotionen und Verhaltensweisen zu entwickeln. Dies kann zu tiefgreifenden Einsichten und nachhaltigen Veränderungen führen.

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Birgit Appel-Wimschneider

Author Birgit Appel-Wimschneider

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