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Das Kopfkino hört nicht auf

von Angelika Luga-Braun

Depression Patient Anton S. spricht über eine Krankheit, die immer noch tabuisiert wird.

Bad Kissingen – Er ist im besten Alter, 45, sportlich, kräftig gut aussend, aber sein wacher Blick ist leicht misstrauisch. Gerade so, als überlegte er doch, ob er – was er sich vorgenommen hat – zu der Zeitungsfrau tatsächlich über seine Krankheit sprechen soll, über Burnout, über Depression. Aber nach einer Weile des Zauderns, sagt Anton S. (Name von der Redaktion geändert), wie nach einem inneren Dialog: „Es ist in Ordnung. Es ist wichtig, dass Andere erfahren, dass es jeden treffen kann. Ja, ich will sprechen.“

Depressionen

Anton S. im Gespräch mit seinem Therapeuten Dr. Günter Wimschneider, einer der Unterzeichner des Memorandums.

Wir sitzen in der Praxis seines Psychotherapeuten, Dr. Günter Wimschneider. Anton erzählt, dass er über 20 Jahre in einer Bank in der Beratung gearbeitet hat. Seinen Beruf hatte er nach einer Handwerksausbildung erlernt. Freude bereitete ihm der Kontakt mit Menschen und die Möglichkeit, ihnen individuell in Vermögensangelegenheiten zu helfen, ob bei einer Baufinanzierung, der Verwaltung von Aktien oder mit Beratung in Sachen Altersvorsorge oder Versicherungsangelegenheiten.

Völlig ausgebrannt

Er mochte seine Arbeit, seine Kollegen. Doch ist er seit neun Monaten krankgeschrieben, kraftlos, ausgebrannt – Burnout heißt das auf Neudeutsch. Dabei möchte er arbeiten…

Irgendwann hatte die Veränderung im beruflichen Umfeld angefangen. Wie andere Finanzberater auch, musste er, statt zu beraten, Kennzahlen erfüllen: noch ein paar Tausender aus diesem oder jenem bankeigenen Fond an Kunden veräußern, Bankprodukte aus einer Produktwelt, die er selbst immer weniger durchblickte. „Zielvergaben, die nicht zu erfüllen waren“, sagt er. Verlangt ein Kunde eine sichere Geldanlage, muss ihn der Bankberater auf mögliche Verluste bei einer Pleite hinweisen. Verstoßen Berater gegen diese Pflicht, haben Kunden Anspruch auf Schadensersatz, so ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs. Der Statt hat die Banken in die Pflicht genommen. Jetzt wurde Beratung protokolliert. Anton musste die Kunde „profilen“ in Bezug auf Risikofreudigkeit. Er nannte sich weiter Berater, sollte aber an sich verkaufen. im besten Falle ehrlich und in Punkto Chancen und Risiken spielte er mit offenen Karten, im schlechtesten Falle agierte er als Vertreter der Interessen seiner Bank – und der Kunde zahlt die Rechnung. „Die in den oberen Etagen glauben an ihre Statistiken.“ Eine Zeit machte er mit, hatte aber stets mehr das Gefühl, eine andere Sprache zu sprechen als der Kunde, auch eine andere als der Vorstand. Seine innere Zerrissenheit nahm er tagtäglich mit heim, auch das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen. Entfremdung vom eigenen Tun.

„Überall wird noch mehr draufgepackt, die Zielvorgaben sind nicht zu erfüllen.“

An sich erfolgsgewohnt, geriet jetzt Antons Arbeit unter Kritik. Er wurde dünnhäutiger, bekam Wehwehchen, Bandscheibensachen, ein Tinnitus, Bluthochdruck, alles, was der Hobby-Sportler nur vom Hörensagen kannte. „Ich verlor meinen Antrieb, mein Körper ging auf Verteidigung“, sagt er. Seine Kritikfähigkeit sank, seine Aggression wuchs, Abschalten ging nicht mehr, Schlaf fehlte und ließ sich durch ein Bier oder einen Wein mehr nicht herbeizaubern. „Das Kopfkino hört nicht mehr auf, und morgens war ich erschlagen.“Ohne Freude und Erfolg bei der Arbeit folgte nun der innere Rückzug. Zum Glück erkannte Antons Hausarzt, dass bei seinem Patienten die Seele dabei war Schaden zu nehmen. Er riet zu einer Auszeit und einer Akutbehandlung in einer psychosomatischen Klinik, was Anton befolgte.

Zum ersten Mal seit langem hatte der Banker Zeit für sich, Zeit zum Nach-innen-Horchen, zum Nachdenken. Zum ersten Mal begegneten Symptomen: Die Gehetzten, Schlaflosen, die von Angstzuständen Geplagten, die mit der Angst, dem Leistungsdruck „draußen“ nicht Stand halten zu können. Besonders die Erfolgsgewohnten, für die Erfolg wie eine Droge wirkt, hatten alle dieselbe Erfahrung: „Überall wird mehr und noch mehr draufgepackt. Die Hierarchie in den Unternehmen ist so aufgebaut, dass die Last nach unten immer schwerer wird.“ Anton wurde bewusst, dass er ein Nervenbündel war, manchmal verstand er auf erschreckende Weise, was mit Fußballstar Robert Enke los gewesen war.

„In der Hierarchie der Unternehmen wird die Last nach unten hin immer schwerer.“

„Da will ich keinesfalls hin.“, wusste er und suchte sich nach dem akuten Burnout Hilfe bei Dr. Wimschneider. Fast ein halbes Jahr musste er auf einen Termin warten: „Da fiel ich wieder in ein tiefes Loch.“ Aber zum Glück hatte er Rückhalt daheim. Er suchte sich kleine Aufgaben zum „Abarbeiten.“ Denn in der Klinik hatte er die Erkenntnis gehabt, dass ihm das zuletzt in der Arbeit schwer gefallen war: Dinge, die zu tun sind, der Reihe nach abzuarbeiten.

Auf der Suche nach dem Weg

Mittlerweile hat Anton S. gelernt, sich „herunterzufahren“, kürzer zu treten – und über seinen Burnout sprechen. Seine innere Zerrissenheit plagt ihn: „Kann ich zurück in den alten Job, ins alte Muster? Will ich das? Welche Alternativen habe ich mit 45?“ Dennoch ist er dankbar, dass er die Zeit bekommen hat, solche Fragen mit Abstand gründlich zu reflektieren. Im Gespräch mit dem Therapeuten erarbeitet er jetzt eine Lösung, die zu ihm passt. Das kann eine Zeitlang dauern, denn dass er an einem Scheideweg steht, ist Anton S. durchaus bewusst. Aber nach einem Dreivierteljahr Burnout hat er gelernt, dass es sich lohnt, seinen Ausweg zu suchen. Und der soll definitiv ein anderer sein, als ihn vor gut einem Jahr der Fußballstar Robert Enke für sich gefunden gewählt hatte.

Birgit Appel-Wimschneider

Author Birgit Appel-Wimschneider

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